Otto Wendler
Geschichte Rügens
- von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart
Swantewit und andere rügensche Gottheiten
Auf der nördlichen Spitze der Insel Rügen, dem Stückchen Erde, das noch heute auf drei Seiten von steil zur See abfallenden Kreidefelsen, und auf der vierten, der westlichen, von den Überresten des einst 50 Fuß hohen Walles begrenzt ist, war das Swantewit des Heiligtum erbaut. Es stand in der Mitte des ganzen Raumes, der vor 700 Jahren an Ausdehnung gewiß gewiß noch einmal so groß war wie heute, denn die Fluten des Meeres unterspülen das Kreidegestein beständig, die obere Masse stürzt, haltlos geworden, nach und so geht der Obere Uferrand immer weiter zurück. Und wäre nicht Swantewits Tempel unter den Arthieben gotteseifriger Dänen zusammengesunken, so hätte der Gott mitsamt seinem Heiligtume höchstwahrscheinlich dem nagenden Zahn der Zeit zum Opfer fallen müssen, der ihm den Boden buchstäblich unter den Füßen fortfraß. Ein tragisches Geschick hat ihn vor diesem weniger rühmlichen Ausgang bewahrt.Machen wir jetzt dem Arkona, wie es wor 7 - 800 Jahren beschaffen war, einen Besuch, um den Herrn Swantewit kennen zu lernen. Durch den trockenen Graben, der rings um die Stadt läuft, müssen wir hindurch auf das Thor zu, das einzige, das wir überhaupt bemerken. Von Holz ist dieses und ebenso der hohe Turm neben dem Eingang uns zur Linken. Wir staunen über die Mächtigkeit des Walles, auf dessen oberem Rande eine dichte Reihe mannshoher Palissaden sich von einem Ende des Ufers bis zum andern hinzieht. An der Uferseite sehen wir keine Befestigung, hier schützt die Steilheit der Uferwand selbst genug, sie ist so hoch, daß von unten kein Pfeil hinauf und in die Stadt hineindringen kann.
Durch das tunnelartige Thor treten wir jetzt in den inneren Raum der Festung. Hölzerne Häuser bedecken denselben in buntem Gewirr rings um einen größeren Platz in der Mitte des Ortes. Auf diesem sehen wir ein quadratisches Gebäude, das die hüttenartigen Nebengebäude fast um das Doppelte an Höhe überragt, es ist Swantewits Heiligtum. Aber wie, auch aus Holz? fragen wir erstaunt. Ja, der Slave kannte, selbst für seine Götterhäuser, kein anderes Baumaterial als das. Dasto reicher aber sind die Außenwände mit grellfarbigen Bildern verziert, Kampfesszenen darstellend, in dem überall ein Schimmel, des Gottes Leibpferd, sich tummelt. Schon hieraus können wir auf eine Eigenschaft des Gottes schließen: Rr ist Kriegs- und Siegesgott der Ranen.
Aber nun geht für uns "Touristen" die Schwierigkeit an. Nachdem wir die Außenseite studiert, wollen wir auch das Innere in Augenschein nehmen, doch kein Portier öffnet, dienstfertig und trinkgeldschmunzelnd, die Thür. "Zutritt verboten für gewöhnliche Sterbliche", flüstert uns ein Tempeldiener zu, der uns schon lange argwöhnisch fixiert hat, und an den wir uns mit unserm Begehr wenden. Da naht ein alter, würdiger Herr, lang wallt Haupt- und Barthaar herab, ganz anders wie bei den kurzgeschorenen Diener. "Der Hohepriester des Swantewit", raunt uns unser kurzgeschorener Cicerone zu, er allein von allen Rüganern läßt kein Scheermesser auf sein Haupt kommen. Höflich bringen wir bei ihm unser Anliegen vor, einmal Herrn Swantewit von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen. Doch er will beinahe in den Boden sinken ob unseres Ansinnes. "Nein meine Herren", sagt er, "und wären sie König Swen von Dänemark, oder unser König Tetzlav selbst, sie kämen nicht hinein ins Allerheiligste;und selbst dann darf ich noch nicht drinnen Atem holen, sondern muß zu diesem Zwecke jedesmal vor die Thür, damit Swantewit, der heilige, lichte Gott, nicht durch meinen sterblichen Hauch verunreinigt wird."
Da haben wir denn die Pastete. In Rom gewesen und den Papst nicht gesehen, murmeln wir zwischen den Zähnen und denken dabei : In Arkona gewesen und den Swantewit nicht gesehen. Aber wir müssen nur froh sein, von dem Herrn Hohepriester nicht auf unser Glaubensbekenntnis interviewt zu werden, sonst würde er "Spione" in uns wittern, die in Bekehrungsversuchen machen;und dann ginge es uns sicher so, wie jenem Mönche, der einmal zur Zeit des Heringsfanges sich auf Rügen eingeschmuggelt hatte in dieser Absicht. Kaum hatte der Hohepriesetr Lunte davon gerochen, als er auch die sofortige Verhaftung des Kollegen von der anderen Fakultät befahl, und nur schleunige Flucht konnte den jedenfalls nicht nach dem Märtyrium verlangenden Kahlkopf retten. Wollen wir also Swantewit sehen, so müssen wir uns in Geduld fassen. Freilich, "Schillings Gasthof" auf Arkona existierte damals noch nicht einmal in seinen Anfängen, da können wir uns inzwischen also nicht vor Anker und auf die Lauer legen und uns die Haut voll - erzählen lassen. Aber bei unserer Gedankenreife können wir gerne ein paar Jährchen auf günstige Gelegenheit warten und und inzwischen mit den auf Swantewit bezüglichen Sachen vertraut machen, ohne ihn vorerst selbst persönkich gesehen zu haben. Wir sind so mit den Rüganern der damaligen Zeit in gleicher Lage, denn auch sie waren ja vom Zauber des nicht sehbaren Gottes umfangen, während sie den anderen sehbaren sehbaren Zauber vergnüglich und andächtig mitmachten. Und Augenweide ahben wir derweil genug.
Es ist Anfangs Sommer im Jahre 1157, als ein dänisches Schiff an der Küste Wittows landet. An der Flagge und dem vergoldeten Drachenkopf am Vorderbug sehen wir, daß es ein königliches ist. Einige Männer in prächtiger Kleidung entsteigen und bewegen sich in feierlich-ernstem Schritt nach Arkona hinauf. Ein Herold mit grünem Zweig in der Hand geht ihnen voraus zum Zeichen, daß man in friedlicher Absicht kommt. Die Gesandtschaft tritt in Arkona ein, Tempeldiener kommen ihr entgegen, fragen nach dem Begehr und melden dies dem Hohepriester. Bald darauf tritt dieser aus seiner Wohnung neben dem Tempel, die Gesandten gehen ihm entgegen, und der Sprecher beginnt nach feierlicher Begrüßung also: "Unser Gebieter, der Dänenkönig Swen, entbietet dem heiligen Seher Swantewit seinen Gruß. Im wechselvollem Kampfe gegen seine Rivalen bittet er den mächtigen Kriegsgott, der in die Zukunft sieht, um seinen Rat, ob er den Krieg zum glücklichen Ende führen wird oder davon ablassen soll. Diesen Goldpokal, mit geheimnisvollen Runen verziert, reicht er dem Swantewit zum Weihgeschenk für seine Antwort dar."
Staunend erwidert der Priester, indem er den köstlichen Becher annimmt und einem Diener übergibt: "Gar selten wird von den Völkern, die dem Glauben der Väter untreu geworden sind und sich der Macht des Christengottes gebeugt haben, unseres Gottes gedacht. Nur die Not, wenn der Christengott nicht mehr helfen kann, erinnert sie des mächtigen Hortes, den sie verloren. Aber wie Swantewit alle zerschmettert, die ihm widerstehen, so erbarmt er sich auch aller, die sich ihm vertrauend nahen. Und so will ich denn für einen Christenkönig, der seinem Gotte mißtraut, unsern allwissenden Seher befragen. Möge er ihm günstig antworten."
Damit führte er die Gesandten auf den freien Platz vor dem Tempel, und nachdem er dem Diener seine Aufträge erteilt, geht er in seine Wohnung zurück. Alsbald säubert der eine Diener den Platz von allen Unrat, ein anderer bringt sechs Speere herbei aus einem Gebäude neben dem Tempel. Zwei von den Speeren nimmt er und steckt sie kreuzweise zu einander mit der Spitze in die Erde. In einer Entfernung von ungefähr zehn Schritt thut er ebenso, und in gleichem Abstand von dem zweiten kommt das dritte Paar in die Erde.
Inzwischen strömt eine Schar von gegen dreihundert Reitern aus den Häusern der Festung herbei und umstellt den Platz. Hell blitzen die prächtigen Panzer in der Sonne, und hoch hebt der größte und stärkste der Reiter die mächtige Fahne mit dem Adler empor. Es ist die Leibwache des Gottes. Gar ängstlich schaute mancher der Dänen dem Gebahren zu, glaubte er doch bekannte Gestalten darunter zu erblicken, denen er schon einmal im Kampfe begegnet. Und furchtbar waren diese Streiter, hatte doch nichts ihnen widerstehen können, als sie ihrer heiligen Fahne, der Stanitza, folgten. Aber heute sind sie in feierlicher Stille versammelt zu Ehren des Orakels, das vor sich gehen soll.
Jetzt kommt der Hohepriester aus seinem Hause;ein weißes, reich mit Goldblech verziertes Gewand umwallt seine Gestalt. Er holt aus dem Tempel ein von Silber strahlendes Reitzeug heraus. Mit diesem geht er in eines der Nebengebäude. Nicht lange, da öffnen sich dessen Thüren, und hervor tritt, angethan mit dem prächtigen Geschirr und geführt von dem Priester, daß heilige weiße Roß des Swantewit. Lang wallt die Mähne des feurigen Tieres herab, und mit dem langen Schweife peitscht es die Flanken. Ungeduldig stampft es den Boden. Tempeldiener und Leibgarden werfen sich beim Anblick des geheiligten Rosses auf die Erde. Das Orakel beginnt.
Der Priester führt das Pferd an die erste Barriere, spricht ein kurzes Gebet zum Swantewit und läßt das Ross über das erste Paar Speere hinüberschreiten. Aller Augen sind auf die Beine des Tieres gerichtet. Leises Gemurmel erhebt sich, als das Pferd die ersten Speere mit dem rechten Vorderfuß zuerst überschreitet. Jetzt naht es sich dem zweiten Paar. Auch hier tritt es mit dem rechten Fuß zuerst über. Voll Spannung sehen alle Blicke auf die dritten Speere. Übertritt es auch nur eine Barriere mit dem linken Fuße zuerst, so ist das das Zeichen einer ungünstigen Antwort des Gottes. Aber siehe da, auch hier setzt es mit dem rechten Vorderfuße zuerst über die Speere.
Stumm hatte der Priester den Gott durch sein geweihtes Ross walten lassen. Jetzt führt er dasselbe in seinen Stall zurück und trägt das heilige Geschirr wieder in den Tempel. Dann sagt er den Gesandten die Antwort des Gottes, die er soeben durch das Orakel vernommen: "Swantewit will dem rechtmäßigen Könige der Dänen wohl, ihm weisagt er einen glücklichen Ausgang des Krieges."
Damit ist die feierliche Handlung des Orakels zu Ende. Ein Schmaus schließt sich daran und die Gesandten kehren zu ihren Schiffen zurück, gerade so klug wie vorher, da es ihnen zweifelhaft geworden, ob Swantewit nun auch ihren Herrn Swen als rechtmäßigen König betrachte. Das Ende des Krieges, den Swen, bestärkt durch dieses Orakel, fortsetzte, sollte sie darüber belehren, daß der schlaue Seher jedenfalls als den rechtmäßigen König den Sieger angesehen wissen wollte und so auf alle Fälle gedeckt war. Der Goldpokal aber fiel später bei der Eroberung Arkonas den Dänen wieder in die Hände. Haben wir bei dieser Gelegenheit gesehen, wie Swantewit als der heilige Seher der Zukunft verehrt wurde, so stellt er sich uns im Herbste in anderer Eigenschaft dar.
Es ist um die Zeit, wo die Ernte glücklich geborgen ist. Arkona, das sonst nur von der Leibgarde des Swantewit, den Tempeldienern und dem Priester bewohnt ist, wimmelt heute von Leuten aus der ganzen Insel. In gastfreundlicher Weise haben die Reiter des Gottes den Landsleuten ihre Wohnungen zur Verfügung gestellt, und jedes Plätzchen ist mit Gästen belegt. Aber nicht vermag der Ort die noch immer neu hereinströmenden Ankömmlinge zu fassen. An den Wällen aufgeschlagen, vor der Stadt unter den Bäumen der Eichenwälder, die damals noch Wittow bedeckten bis dicht vor Arkona, lagert eine dichte Menge bei "Mutter Grün", dem einzigen, komfortabel eingerichteten Hotel, das damals auf Rügen gab. Da lebte man zu den "zivilisten Preisen" und verzehrte vergnüglich den selbstgeräucherten Hering und Speck, den man sich im Ränzel mitgebracht hatte. Fast scheint es, als sei das ganze Inselvolk hier versammelt zu der großen Erntefeier, die morgen vor sich gehen soll.
Heute hat der Hohepriester es "hild". In höchsteigener Person kehrt er mit dem Handbesen das Heiligtum aus, gründlichst, denn es ist der einzige "Reinmachetag" des Jahres für den - glücklichen Swantewit. Bei dieser Handtierung sehen wir ihn alle Augenblicke den Kopf aus der Tür stecken, um - Atem zu holen, wie er uns schon gesagt, würde der Gott durch den sterblichen Hauch verunreinigt, aber wir vermuten im Stillen, der Priester hat diese Mär erfunden, weil er´s in der dumpfen Luft drinnen nicht kann. Na, sei dem wie ihm wolle, des Priesters Wort soll man glauben;die martervolle Prozedur ist beendet, und alles ist blitzblank für das morgige Erntefest.
In goldiger Glut steigt die Sonne hinter Jasmunds bläulich grauem Wäldern empor und beleuchtet ein Bild des regsten Lebensin und um Arkona. Auf dem Platze vor dem Tempel schart sich die Menge, Kopf an Kopf drängt es und wogt es, Mütter heben die kleinen Rüganer auf die Schulter, daß sie auch was sehen, Tempeldiener haben alle Hände voll zu thun, um bloß den nötigen Raum vor dem Tempel frei zu halten.
Da tritt der Hohepriester in langem weißen Gewande aus seiner Wohnung hervor. Es verstummt das Gelärm und Gekreische, alle Hälse recken sich, jeder will den gewaltigen Mann einmal sehen, der allein von allen Rüganern dem Gott vor Augen treten und mit ihm verkehren darf, durch dessen Mund allein Swantewit zu seinen Gläubigen spricht. Alle staunen sein lang herabwallendes Kopf- und Barthaar an, es ist dem Rüganer etwas Sonderbares, denn er trägt es kurzgeschoren, nur Swantewits Priester macht diese Ausnahme und verrät schon dadurch seine besondere Stellung.
Jetzt geht er feierlichen Schrittes in den Tempel und holt ein großes Trinkhorn heraus. Schweigend, voll gespannter Erwartung beobachtet ihn das Volk, wie er jetzt in das Trinkhorn hineinsieht und den vom vorigen Jahre noch darin befindlichen Met betrachtet. Freudig blickt sein Auge auf, er hat die Menge des gebliebenen Restes gesehen und weiß nun, daß Swantewit seinen Anhängern etwas frohes zugedacht hat. So spricht er denn zum Volke: "Freut euch, ihr treuen Anhänger des Swantewit, euer Gott verkündet euch für das nächste Jahr eine reiche Ernte, denn der vorjährige Opfertrank ist noch fast ganz erhalten."
Lautes Freudengejauchze folgt diesem Segen verheißenden Worten, denn hätte der Gott den Met vertrocknen lassen, so wäre das das Zeichen einer dürftigen Ernte für das folgende Jahr gewesen. Nunmehr gießt der Priester den Inhalt drinnen zu den Füßen des Gottes aus und füllt das Horn mit frischem diesjährigen Gebräu, das als Opfergabe dargebracht ist. Mit dem gefüllten Gefäß tritt er wieder hervor und betet zum Swantewit, daß er Rügens Macht erhalten und vermehren, der Rüganer Hab und Gut erweitern möge. Dann setzt er das Trinkgefäß an die Lippen und leert es in einem gewaltigen Zuge. Abermals füllt er es bis zum Rande und stellt es so dem Gotte drinnen wieder zu, wo es bis zum nächsten Erntefest verbleibt.
Hiermit ist das Trankopfer beendet. Es beginnt das Speiseopfer. Ein mehr als mannshoher Honigkuchen wird von den Tempeldienern herbeigebracht. Der Priester stellt ihn vor sich und fragt mit lauter Stimme das Volk:"Könnt ihr mich sehen? "Aber der riesige Kuchen verdeckt die ganze hohe Figur des Priesters vollständig und ein freudiges "Nein" erschallt als Antwort. Da tritt der Priester hinter dem Opferbrot hervor und spricht:"Auch durch das Speiseopfer läßt euch Swantewit für das nächste Jahr Segen verheißen. Hättet ihr mich sehen können hinter der Opfergabe, so hätte ich den Gott bitten müssen, daß sie nächstes Mal größer sein möge, und das wäre ein Zeichen gewesen für Mangel im folgenden Jahre. So, nun freut euch der diesjährigen Ernte, ihr braucht nicht zu sorgen oder zu sparen vom diesjährigen, es wartet euer eine neue reichliche Ernte. Nun geht hin an den Opferschmaus zu Ehren unseres Gottes und bleibt Swantewit treu, dessen Macht seine Feinde zerschmettert. Euch verheiße ich seinen Beistand in Krieg und Frieden."
Mit dieser Aufforderung zum Festhalten am Swantewitglaubenhat die feierliche Handlung ihr Ende erreicht. Der Opferkuchen wird von den Dienern fortgeschafft, um später in Erinnerung an das Fest "aufgeknuspert" zu werden. Die Menge verteilt sich und eilt zu ihren "Logis". Hier beginnt jetzt eine fieberhafte Thätigkeit. Man hat Schlachtvieh mitgebracht nach Arkona, das wird jetzt zugerichtet. Die besten Stücke werden herausgeschnitten und dem Priester hingebracht als Opfer für Swantewit. Zugleich mit dieser Naturalisierung entrichtet jeder Hausvater für sich und seine Familie je ein Silberstück an den Gott zur Unterhaltung des Tempels und seiner Diener.
Und nun, wo dem Gott Genüge gethan ist, denkt man auch an sich selbst. Der Schmaus beginnt, Unmassen Esswaren werden vertilgt und dem Met wird mehr als reichlich zugesprochen. Alles zu Ehren des Swantewit! Ja, wir hören mehr als einmal, wie der Wittower dem Jasmunder und Muttländer zuruft:"Heda Landsmann, Du scheinst mir kein eifriger Anhänger des Swantewit zu sein, sonst würdest Du dem Mete fleißiger zusprechen."
Um Ketzerverdacht sucht sich jeder herumzuschieben. Diese Appellation an das Kriterium eines braven Swantewitianer hilft, alle gehen aus der Feuerprobe des Swantewitglaubens mit langem, langem Zopfe hervor. Und als der Mond in später Nacht am Himmel erscheint, erblickt er verwundert ein großes, schnarchendes Leichenfeld in und um Arkona. Der Morgen graut im Osten, über Jasmund hebt die Sonne ihre Rosenfinger empor. Da recken die feuererprobten Gläubigen die steifen Glieder, heimwärts gehts, und manch Rügensches Mütterlein seufzt: Dem Swantewit sei Dank, daß er nur einmal im Jahre solch Fest feiert.
Ein merkwürdiges Anhängsel des Festes das! Wie mancher Urgermane hätte dem Swantewit recht gern auf diese Weise seine Referenz erwiesen! Daß auch die slavischen Völker in Pommern gerne bei der Gelegenheit dem geistigen Getränk im Übermaß zusprachen, wird in den Biographien Ottos von Bamberg oft mit Schaudern erwähnt, auch Saxo erzählt vom pommerschen Herzog Bogislav I. , daß er außer bei anderen Kneipereien einmal so bezecht war, daß er auf sein Schiff gebracht werden mußte. Nirgends aber gilt die Bezechtheit als Gradmesser der Frömmigkeit, des Glaubens , wie hier. Ja, dieser Swantewit muß ein furioser Herr gewesen sein, und unsere Neugierde steigt, ihn nun baldigst persönlich uns vorgestellt zu sehen. Die Gelegenheit kommt.
Die Dänen rücken an. Am 14. Juni 1168 wird Arkona von ihnen erobert, am 15. des Monats sind wir zur Stelle und können unser kulturhistorisches Interesse befriedigen. Kein Hohepriester wehrt uns mehr, sein Machtwort ist verstummt, die Zeiten haben sich geändert. Mit Äxten werden die Außenwände des Tempels von den Siegern eingeschlagen. Ein von herabhängenden purpurnen Teppichen verschlossener viereckiger Raum tritt zutage. Die Teppiche werden herabgerissen, Staub wallt auf, denn sie sind bis dahin nie ausgeklopft, und jetzt steht Swantewit vor allen Blicken da. Ein allgemeines "Ah", selbst von Seiten der Rüganer, die ihn ja bisher auch noch nie gesehen.
Eine Holzfigur gewahren wir, größer als Menschengestalt. Auf dem klotzigen Leib sind auf vier Hälften vier Köpfe angebracht, sie schauen nach den vier Himmelsrichtungen. Kopf- und Barthaar sind nach Sitte der damaligen Rüganer kurz geschoren. Ein ehemals weiß gewesener Mantel reicht bis auf die Kniee herab. Den linken Arm hat er in die Seite gestemmt, den rechten hält er vorgestreckt, und mit der Faust desselben umfaßt er das uns bekannte silberne Trinkhorn. Fest steht er auf den Beinen, sie sind einem großen Holzblock in der Erde fest eingefügt, so fest, daß etwaige Schlüsse aus dem Trinkhorn auf eventuelle besondere Liebhabereien des Gottes nicht angebracht erscheinen. Ein mächtiges Schwert mit silbernen Griff und silberner Scheide lehnt "an seiner Linken". Auch das reichverzierte Pferdegeschirr gewahren wir wieder ihm zu Füßen.
So sah Swantewit leibhaftig aus;und, da wir vorher seinen Kultus belauscht haben, können wir nunmehr die Sprache seines Bildes und seiner Insignien verstehen. Auch sein Name gibt uns dafür einen Anhalt. Er bedeutet in wörtlicher Übersetzung der heilige Sieger, heilig aber nicht in sittlicher Bedeutung, was man noch nicht kannte, sondern so viel wie vollkommen mächtig. Keine Schranken giebt es für seine Macht, er vernichtet alle äußeren Feinde und führt in dieser Beziehung das Schwert. Ebenso besiegt er die geheimnisvollen Mächte, die das Wachstum der Früchte zu verhindern streben, er giebt dadurch der Erde Fruchtbarkeit, ihm dankt man den Ertrag des Feldes.
Darum ist das Erntedankfest der Zentralpunkt seiner Verehrung, und als Symbol dieser Eigenschaft hält er das Trinkhorn in der Hand. Auch die Schranken der Erkenntnis gibt es für ihn nicht, er durchbricht sie mit seiner übermenschlichen Intelligenz, das versinnbildlichen die vier Häupter. Er schaut in alle Gegenden und erkennt dort die Zukunft. Auch teilt er sie seinen Verehrern mit durch die Zeichen seines Orakels, das der Priester auslegt. Swantewit ist somit für seine Anhänger ein Segen spendender Gott. Darum hat sein Kult auch nichts unheimlich geheimnisvolles, sondern trägt im Ganzen ein fröhliches Gepräge. Alle Feinde aber zerschmettert er;besondres haßt er die Christen, und darum wurde ihm, der sonst mit Früchten und Tieren sich begnügte, jährlich ein gefangener Christ zum Opfer dargebracht, wenigstens weiß Helmold es so, während Saxo, der Augenzeuge, nichts davon sagt. An Einkünften war Swantewit nicht arm. Jeder Rüganer entrichtete ihm, wie wir gesagt, jährlich ein Silberstück. Unterworfene Völkerschaften in Pommern mußten ihm ebenfalls jährlichen Tribut geben. Von aller Beute der Rüganer durch Seeraub oder Eroberung gehörte ihm der dritte Teil;was seine Leibgarde heimbrachte, war alles seins. Kamen fremde Kaufleute nach Rügen, sie mußten ihm keinen Obolus entrichten, und durften, selbst wenn sie Christen waren, gegen klingende Münze in Handelsgeschäften auf Rügen bleiben. Vom Ertrag des Heringsfanges beantragte er den Zehnten, kurzum, aus allem wußte er Kapital zu schlagen. In großen Kisten wurde der so gesammelte Schatz des Swantewit aufbewahrt, und die Vorstellung von der Größe desselben war schließlich ins fabelhafte gestiegen. Er galt zugleich als Staatsschatz, der aber nur im Falle der äußersten Not angebrochen wurde, wie bei jener Invasion des Obotritenfürsten Heinrich. König Waldemar von Dänemark bekam sich um senetwillen hauptsächlich mit Heinrich dem Löwen das Erzürnen, weil er ihn als gute Beute allein eingeheimst hatte.
Außerdem hatte der Gott auch Grundbesitz. Es wird bei der Eroberung Arkonas besonders ausbedungen, daß Swantewits Güter der Kirche gehören sollen. . Noch heute erinnert der Name des Dorfes Swantow, südlich von Garz, an ihn;vielleicht stand hier ein Unterheiligtum. Und wahrscheinlich zählte auch Ralswiek zu seinen Liegenschaften, da die dänischen Bischöfe von Roesfilde es nach Swantewits Sturz für sich in Besitz nahmen. Dem Ansehen des Gottes entsprach die ganz eigentümlich Machtstellung seines Hohepriesters. Da die Rüganer keine größere Unternehmung wagten, ohne zuvor Swantewit um Rat gefragt zu haben, so hatte der Priester entscheidenden Einfluß auch auf die Politik, und selbst der König der Ranen war durch ihn gebunden, seinem Willen unterworfen. Denn ohne ein bischen persönliche Beimischung von Seiten des Priesters ging so ein Orakel, das jedesmal mittelst des heiligen Rosses erteilt wurde, ja doch nicht ab. Das Pferd ist ein gelehriges Tier, zudem kam nur der Priester mit ihm in Berührung, und so mochte es bald nach seinem Belieben die Beine setzen lernen. Und sicher ist der Dolmetsch des göttlichen Willens auch mit den jeweiligen politischen Situationen vertraut gewesen. So hing im Grunde genommen jedesmal von seiner Einsicht, seinem Entschluß die Antwort des Swantewit ab.
Und wie er den Gott nach seinem Willen reden hieß, so war dann die weltliche Macht eigentlich nur die Ausführerin seines Willens und Entschlusses. Er übte so eine Art theokratisches Regiment aus. Auch hatte er allein das Bestimmen über den Staatsschatzes, der in Arkona aufbewahrt wurde. Daher auch sehen wir früher, als der Obotritenfürst Heinrich gegen Rügen zog, den Hohenpriester des Swantewit die Rolle des Unterhändlers spielen, ferner kommandierte er die Leibwache des Gottes, und hatte dadurch fast immer ein Werkzeug des eigenen Willens in der Hand. Nicht immer aber mochte zwischen Priester und König Meinungseinheit herrschen und aus dem Eifer, mit dem der rügensche Fürst nach Arkonas fall das Christentum annimmt und fördert, darf man folgern, daß das weltliche Oberhaupt der Insel schließlich froh war, einer läßtigen priesterlichen Bevormundung endlich enthoben zu sein. Weit über Rügens Grenzen hinaus ging das Ansehen des Swantewit. Pommersche Völkerschaften waren ihm zinspflichtig und obotritische Fürsten aus dem heutigem Mecklenburg warben um seine Gunst, und selbst der dänische König Swen versuchte, wie wir gesehen, bei ihm sein Glück.
Das kurioseste aber ist, daß Swantewit den Mönchen vom Kloster Corvey an der Weser Jahrhunderte lang schlaflose Nächte bereitet hat. Und das hat mit seinem Namen der heilige Vit getan, der Schutzpatron jenes Klosters.Wir kommen hiermit zu der ältesten Sage der Insel Rügen, die Helmold und Saxo uns gewissenhaft aufbewahrt haben, weil sie im 12. Jahrhundert allgemein im Norden verbreitet war.
Danach sollen zu Kaiser Karls des Großen oder eines seiner Nachfolger Zeiten die Rüganer von Mönchen aus Corvey zum Christentume bekehrt und die Insel dem Kloster von einem der Kaiser geschenkt sein. Zum Gedächtnis ihres Klosterheiligen Sankt Vitus hätten die Mönche ein Bethaus auf Rügen errichtet. Aber die Rüganer fielen wieder ab, vertrieben die Priester und verkehrten die Religion im Aberglauben.
Sankt Vitus hatte ihnen nämlich gefallen, ihm errichteten sie eine Bildsäule und nannten sie nach ihm den heiligen Vit oder Swantewit. Auf diesen übertrugen sie ihren Gottesdienst und ihre Abgaben, statt sie in schuldigen Gehorsam nach Corvey zu schicken, denn sie meinten ökonomisch, sie hätten an ihrem einheimischen Sankt Vit, resp. Swantewit, genug.
Soweit die Sage, die, wie man sieht, auf der Identifizierung von Swantewit und Sankt Vit basiert. Hätte sie Grund, so würde sie Rügen in der Geschichte um einige Jahrhunderte hinaufrücken. Aber wie sich einerseits ihre historische Unhaltbarkeit nachweisen läßt, so kann man anderseits ihre Entstehung unschwer verfolgen. Vor allem müßte das Kloster Corvey in seinen Annalen Nachrichten aus jener Zeit hierüber aufbewahrt haben; allein erst um 1070, also über zwei Jahrhunderte nach der vermeintlich erfolgten Schenkung, hat es die erste kurze Notiz von der für das Kloster doch so wichtige Sache. Um diese Zeit des elften Jahrhunderts nämlich wurde während der Herrschaft des christlichen Obotritenfürsten Gottschalk der erste nähere Verkehr zwischen Wenden und Deutschen hier im Norden anbahnt. Dabei erfuhr man von einem Swantewit, der auf Rügen seinen Sitz habe und verehrt werde. Der Name kam den Deutschen sofort bekannt vor; Swantewit klang ja ganz genau wie Sankt Vit, und zudem hatte das Wort in der Übersetzung des Dolmetsch dieselbe Bedeutung, nämlich der heilige Vit. Wer wußte, in Norddeutschland zumal, nicht vom Sankt Vit in Corvey! Das war ja eine höchst merkwürdige Entdeckung, daß der Sankt Vit auf Rügen verehrt wurde. An der Identität der Personen zweifelte niemand nach der allgemein unkritischen Auffassung der Zeit.
Höchst wichtig wurde die Sache für Corvey, dessen Schutzpatron Sankt Vit war, sobald man sie dort erfuhr. Natürlich nahm man sie sofort als Tatsache auf, da Zeugen genug sie bestätigten, und gewissenhaft registriertesie der damalige Abt Saracho um 1070. Aber wie war denn der heilige Vit nach Rügen gekommen? Davon wußte man ja bisher in Corvey noch garnichts! Man dachte hin, man dachte nach, und - fand: natürlich durch Mänche von Corvey, die als Missionare dorthin gegangen waren. Dann waren später die Rüganer sicher infolge der Habsucht der Klosterbeamten wieder abgefallen, wie es ja so oft anderswo vorkam und trieben jetzt mit Sankt Vit Götzendienst. Das alles war so Sonnenklar, und der gewissenhafte Abt Saracho brachte es alles auf das geduldige Papier.
Soweit war die Sache klipp und klar. Nun folgerte man in Corvey weiter: Wenn Rügen von corveyischen Mönchen bekehrt wurde, so gehört es zum Erbe Sankt Vits. Also hat man Ansprüche an die Insel. Und in der Tat machte bald ein Abt des Klosters, Wibald, den Versuch, Rügen für sein Kloster wiederzugewinnen. Er schloß sich zu dem Zweck Heinrich dem Löwen an, als dieser 1147 gegen die Wenden an der Peene zu Felde zog, leider ohne Erfolg. Aber trotzdem ließ Corvey seine Ansprüche nicht fallen, und als es vom Papste Hadrian dem Vierten 1154 seine Rechte und Besitzungen feierlich bestätigt bekam, war auch Rügen darunter. Man fügte sich vorläufig schweigend in das Unvermeidliche, bei Gelegenheit hoffte man schon sein Erbe einziehen zu können. Und die Äbte waren wachsam, wie wir bald sehen werden.
Indessen eins war bei der ganzen Sache noch nicht klar, nämlich wann die Bekehrung geschehen sein konnte. Man mußte die Tatsache in die Geschichte einzureihen versuchen. Man dachte zunächst an Karl den Großen. Der hatte ja gegen die Slaven siegreich gekämpft, warum sollte er nicht auch die Rüganer unterworfen und den corveyischen Mönchen geschenkt haben für ihre Bemühungen! In dieser Gestalt war die Sage am volkstümlichsten, denn an Karls Namen knüpfte sich so manche große Erinnerung; Saxo kannte die Sage in dieser Form. Allein bei einiger Geschichtskenntnis mußte man die Unhaltbarkeit dieser Annahme bald einsehen, denn zu Karls Zeit, der ja 814 starb, existierte Corvey noch gar nicht, es ist erst 822 gegründet. Das war zwar der großen Menge verborgen, wurde aber den gelehrten Mönchen doch allmählich klar. So ging man auf Karls Nachfolger zurück und ließ durch einen von ihnen Rügen unterwerfen und an Corvey schenken.
Nun pflegte es schon damals Mode zu sein, daß über so eine Schenkung irgend eine Urkunde ausgefertigt wurde. Leider hatte man in Corvey nichts dergleichen hierüber. Und das war sehr faul, als die günstige Gelegenheit gekommen war, mit seinen Ansprüchen hervortreten zu können. 1325 starb nämlich das rügensche Fürstenhaus aus, jetzt war Corvey der natürliche Erbe corveyischer Auffassung. Man mußte nur eine Urkunde über die Erbansprüche vorzeigen. Sie war aber nicht da, und das war unbequem. Kein Mensch zweifelte, daß sie mal vorhanden gewesen sein mußte. Sollte man um der dummen nicht vorhandenen Urkunde willen seine Ansprüche aufgeben? Keineswegs. Man verfertigte sich, was man brauchte. Glücklicherweise gabs damals noch keinen Paragraphen über Urkundenfälschung im Gesetzbuch. Aber auch so hatte Corvey von aller Mühe keinen Erfolg, denn der pommersche Herzog nahm Rügen einfach von Dänemark zu Lehen, ohne von Corvey Notiz zu nehmen. Dieses aber ließ in seine Annalen schreiben, der Herzog habe Rügen vom corveyischen Abte zu Lehen empfangen. Ein reines Privatvergnügen des Abtes. Noch einmal trat Corvey dann mit seinen Ansprüchen hervor, auf dem westfälischen Frieden, als die pommerschen Herzöge ausgestorben waren. Da sollte Brandenburg, bekanntlich der Erbe Pommerns, Rügen von Convey zu Lehen nehmen. Man hatte leider nur ein Achselzucken für solche Zumutung.
Weder Brandenburg noch Convey bekam Rügen, Schweden behielt es unter gänzlicher Ignorierung der so gerechten Ansprüche Corveys in seiner Hand. Als dann 1815 Rügen preußisch wurde, ist ein Abt von Corvey nicht wieder mit Lehensgelüsten hervorgetreten, sicher hat man sich über die himmelschreiende Rücksichtslosigkeit der weltlichen Macht gegenüber päpstlicherseits verbrieften Rechten beruhigt. Aber wer weiß, was noch mal geschieht, jetzt wo die Bäder der Insel so in Flor gekommen sind. Na, wir können uns beruhigen, kein Abt wird Rügens Bäder schließen, wir können ihm jetzt nachweisen, wie es sich mit den corveyischen Ansprüchen und mit dem Sankt Vit auf Rügen verhält, denn wir wissen jetzt: das Ganze ist eine Sage, die frommer Einfalt ihren Ursprung verdankt, und die dann pfäffische Willkür und Anmaßung gestaltete und dreißt auszubeuten versuchte. Und hätte Onkel Bräfig von der Sage gehört, er hätte sicher Recht gehabt zu sagen: "Denn besagt die Sage etwas falsches."
Soviel vom Swantewit. Er ist des Interesses wohl wert, einerseits wegen seines originellen Kultus und der eigentümlichen Machtstellung eines Priesters, anderseits weil er es verstanden hat, hierarchischen Gelüsten ein Schnippchen zu schlagen. Nicht im entferntesten kommen ihm die anderen rügenschen Götter an Ansehen in der Slavenwelt wie an kulturhistorischem Interesse gleich.
Sie alle haben nur lokale, private Bedeutung gehabt, er war der Staatsgott, dessen Sturz auch den politischen Fall seines Landes nach sich zog. Die außer ihm verehrten Götter der alten Rüganer hatten ihre Heiligtümer in Karenza, in der Gegend des heutigen Garz. Da stand zunächst die Wohnung des Rugiewit. Wie der Name sagt, war er ein rügenscher Spezialgott, der rügensche Held. Purpurne Vorhänge statt hölzerne Wände umschlossen ihn. Die riesige eichene Bildsäule hatte sieben Gesichter, die alle an einem Kopfe saßen. Dies habe, wie der zu Luthers Zeiten lebende pommersche Geschichtsschreiber Kantzow meint, bedeutet, daß dem Rugiewit Macht über die sieben Planeten oder über die sieben Tage der Woche zugesprochen sei. Allein seine übrige Ausstattung läßt eine solche Erläuterung nicht zu, und zudem haben die alten Rüganer sich mit Astronomie nicht abgegeben. Rugiewit hatte sieben Schwerter an seinem Gürtel hängen, ein achtes hielt er in der rechten Hand. Dies zeigt uns, daß er der spezielle Schlachtengott Rügens war; dem Mars der Römer vergleicht ihn Saxo richtig. Die Statue war so groß, daß der riesige Bischof Absalon mit seiner Streitaxt eben das Kinn derselben erreichen konnte, trotzdem er sich auf den Zehen aufrichtete. Von der Pflege, die man dem Gott angedeihen ließ, zeugt der Umstand, daß Schwalben sich unter seinem Kinn eingenistet und das Ihrige getan hatten, ihm den nötigen Anstrich zu geben. So sah Rugiewit denn sehr einladend und Vertrauen erweckend aus. Von einem besonderen Kult berichtet der Augenzeuge Saxo nichts.
Ein anderer Gott in Karenza war Porewit. Er hatte fünf Köpfe, sonst keine Insignien und Waffen. Kantzow meint, die fünf Köpfe bedeuten seine Macht über die fünf Sinne der Menschen. Aber Bor bedeutet auf wendisch Wald, er war also wohl der Gott des Waldes, vielleicht der Schutzpatron der Jäger, Kompagnon des Hubertus.
Als dritten nennt Saxo den Porenut. Er hatte vier Gesichter am Kopf, ein fünftes auf der Brust. Mit der Linken berührt er die Stirn und mit der Rechten das Kinn. An die Erklärung dieses Idols wagt sich Katzow nicht; und doch hätte gerade für dieses, das denkend sich an Stirn und Kinn zu fassen scheint, seine Deutung des Porewit besser gepaßt. Die Knytlinga - Saga, ein isländisches Geschichtswerk aus dem Anfang des 13. Jahthunderts, nennt ihn Turupid. Fod meint in diesem Wort eine Hindeutung auf den skandinavischen Thor Thor zu finden, sodaß Porenut der Gewittergott der Rüganer gewesen sei. Allein in der Haltung des Idols liegt kein Hinweis auf diese Eigenschaft.
Vielleicht war er der Gott der Vernunft, des Gedanken und der Überlegung, wenn anders die alten Rüganer schon beim Nachdenken sich an Stirn und Kinn zu fassen pflegten, und diese äußeren Kennzeichen des Denkens auf ihren Porenut übertragen haben.
Weitere rügensche Götter nennt Saxo nicht. Die Knytlinga - Saga hat ihrer noch zwei. Der eine hieß Dizamar; er war zu Asund, heißt es dort. Asund ist sicher Jasmund. Vielleicht wurde er dort in der jetzigen Herthaburg gehalten und verehrt. Welche Bedeutung er hatte, läßt sich nicht sagen, da außer seinem Namen nichts von ihm berichtet wird.
Der andere Gott heißt Tjarnaglofi. Der soll der Rüganer Siegesgott gewesen sein; er wurde bei Heerfahrten mitgenommen und hatte als besonderes Merkmal einen silbernen Knebelbart. Dieses letztere martialische Zeichen spricht ganz wohl für einen Kriegs- und Siegesgott.
Er soll sich am längsten gehalten haben, erst im dritten Jahre nach Swantewits und der anderen Götter Sturz bekamen die Dänen ihn. Vielleicht verwechselt der isländische Geschichtsschreiber hier Pommersches mit Rügenschem. In Stettin wurde nämlich Triglaf verehrt, auch in Wollin; dort hatte er drei silberne Köpfe, hier war er von Gold. Als Wollin beraubt wurde, entführten und versteckten ihn seine Priester, und man konnte seiner lange nicht habhaft werden. Dies hat der Verfasser der Knytlinga - Saga sicher gehört, überträgt es aber unrichtigerweise auf Rügen, denn unter Tjarnaglofi ist sicher der Triglaf zu verstehen. Weil er nun aber ihn als auf Rügen heimisch meldet, so kann man annehmen, daß dieser slavische Gott hier auch verehrt wurde, ebenso wie ja auch der Swantewit in Pommern.
Dies waren also die rügenschen Götter. Es sind ihrer für das kleine Eiland gewiß genug, und um Anbringung seines Gebetes konnte der alte Rüganer gewiß nicht in Verlegenheit kommen; half nicht der eine, dann der andere, und zum Notbehelf hatte man vielleicht auch noch den pommerschen Siegesgott eingeführt.
Nicht immer aber wandte der Rüganer sich direkt an seine Götter. Für die kleinen Angelegenheiten der eigenen Person behalf man sich ohne die großen Herren, deren Inanspruchnahme jedenfalls immer mit einem Douceur verbunden war. Man orakelte selbst. Alte Weiber, die auch dazumal schon eine besondere Weisheit nibezug auf besondere Herzenswünsche besessen zu haben scheinen, machten mit einem Stock aufs Geratewohl eine Anzahl Striche in die Asche des Herdes. Diese zählte man. War die Zahl eine gerade, so ging der Wunsch in Erfüllung. Auch verstand man hier schon die edle Kunst des Knobelns; aber man knobelte sich nicht ein Glas Met aus, sondern ein Orakel. Freilich war das Handwerkszeug dabei damals noch sehr primitiv, aber es entsprach doch dem Zweck. Man schnitt sich drei viereckige Stäbchen, die je auf einer Seite weiß, auf der anderen schwarz gemacht wurden. Nun nahm man diese Würfel ind die Hand, schüttelte und warf sie auf die Erde. Lag weiß in der Mehrzahl oben, so bedeutete das ein günstiges Orakel; mehr schwarz als weiß war ein ungünstiges Omen.
Manch andere Eigentümlichkeiten mögen die alten Rüganer in religiöser Hinsicht noch gekannt und in Gebrauch gehabt haben; sie sind nicht überliefert. Jedenfalls waren die geschilderten die Hauptsächlichsten und charakteristischen, und sie geben uns immerhin ein lebendiges Bild von den religiösen Vorstellungen und Einrichtungen und dem religiösen Leben der alten Rüganer zur Zeit ihres Heidentums. Wir wenden uns nun wieder zu der Geschichte der Insel zurück.
Herausgegeben im Jahre 1895
Verlag und Druck von Ferdinand Becker
Bergen u. Sassnitz auf Rügen